Vom Umgang mit Fahrenden

Nichtsesshaftigkeit galt spätestens seit dem 16. Jahrhundert als unerwünschte Lebensweise. Seit dem 19. Jahrhundert verband sich mit der nichtsesshaften Lebensweise sehr oft der Rechtsstatus der Heimatlosigkeit.

Schweiz und Kanton St. Gallen

Am 15. Juni 1644 erlassen die Gesandten der eidgenössischen Orte (in Baden) ein Verkaufsverbot für Hausierer und auswärtige Krämer im Rheintal. Dieses Verbot (und die späteren Verbote) dienten vornehmlich dazu, die einheimischen Händler vor den fremden Händlern zu schützen.

[S. 129] Abscheid von Baden, datiert und besiglet den 15. junii 1644. Diser brieff verbandisiert alle frömbde krämer und husierer aus dem Reinthal aufs allerhöchste, außgenommen die keßler und die, so mit metallen handlend, die mögind bey ihrer übung ohne andere handlung wohl bleiben. Und auch die einheimbschen krämer sollind nit husieren, sonder darvon abgewisen sein, damit also die rechten kauff- und handelsleüth das ihrige mit gott und ehren auch schaffen mögind und niemands betrogen werde etc.

Quelle: Kopie (um 1800): Museums-Archiv Altstätten, RM III, S. 129, Umschlag wohl Holzeinband mit Leinenüberzug, geripptem Rücken und gestanzten Metallverschlüssen an Lederstreifen 26 × 40,5/41 cm, Inhalt Pap. 24,5 × 38,5 cm, Fadenbindung, 456 Seiten.

4.–19. Juli 1644: Nach der Intervention von eidgenössischen Kauf- und Handelsleuten beschliessen die Gesandten der eidgenössischen Orte, dass «alle durch das Land streichenden fremden und einheimischen Krämer und Hausirer (Keßler und diejenigen, so mit Metallen handeln ausgenommen) nicht mehr zu dulden» seien. «Die Fremden sollen fortgewiesen, den Einheimischen das Hausieren verboten werden. Den Fremden wird zum Bezug ihrer Sachen und zur Abreise bis nächste Weihnacht Frist gegeben. In der Voraussicht, daß die Obrigkeiten dieß bestätigen und in ihrem besondern Gebiete auch publicieren werden, wird den Landvögten befohlen, solches durch ein Mandat in ihren Vogteien zu veröffentlichen.» (Quelle: EA V 2, Absch. 1041, Art. 1dd, S. 1325; s. auch StASG, CEA/D II.5 [Depot Stadt-Archiv Rheineck]).

2. Juli 1702, Baden: Die Gesandten der eidgenössischen Orte bestätigen die Verordnung, wonach Hausierer und fremde Krämer im Rheintal nur an öffentlichen Märkten verkaufen dürfen (Quelle: EA VI 2, Absch. 493ll, Art. 216, S. 1863).

9. November 1747, Rheineck: Der Landvogt im Rheintal verbietet den Savoyschen und anderen frömbden krämeren das Hausieren im Rheintal (Quelle: StiASG, Rubr. 122, Fasz. 28a).

Eine gesamteidgenössische Lösung des Problems der Heimatlosigkeit wurde nach 1800 angestrebt. Die Tagessatzung bemühte sich verschiedentlich um eine gemeinschaftliche Lösung. 1812 und 1819 wurden zwei Konkordate zur Heimatlosigkeit verabschiedet. Die Eidgenossenschaft als loser Staatenbund hatte jedoch noch keine Handhabe die Konkordate durchzusetzen.

Artikel 4 und 7 aus dem Entwurf zu einem Gesetz über Fremdenpolizei und Aufenthalt ohne Niederlassung des Kantons St.Gallen, 1833:

Art. 4

Reisende Handwerksbursche[n], ambulierende Kremer, sowie alle solche Personen, die eine umherziehende Lebensart führen, sollen die Gränze nur auf den Heerstrassen betreten und sind für ihren Eintritt in den Kanton St. Gallen ausschliesslich an nachbezeichnete Stationen gewiesen: St. Gallen, Lömischwyl, Rorschach, St. Margrethen, Oberriet, Haag, Trübbach, Ragatz, Ziegelbrücke, Uznach, Schmerikon, Rapperschwyl, Wyl, Gossau. An diesen Eintrittsstationen haben alle Reisende, die zu der in diesem Artikel bezeichneten Klasse gehören, Pass oder Wanderbuch vorzuweisen und durch den Grenzposten visiren zu lassen. Das visiren geschieht unentgeltlich.

Art. 7

Reisende, welche den Vorschriften des Art. 4 unterliegen, wenn sie im Kanton betreten werden, ohne dass ihre Ausweise an einer der Eintrittsstationen visiert worden wären, so wie unbeurkundete Leute überhaupt, sollen über die Gränze zurückgeführt und ihnen Wiedereintritt in den Kanton bei Strafe verboten werde. Die Zurückweisung und das Verbot des Wiedereintrittes ist auf ihren Papieren, wenn sie solche besitzen, ausdrücklich vorzumerken. Im Wiederbetretungsfalle sollen sie dem Bezirksammann zur Abstrafung abgeführt werden.

Schweizer Nationalkalender 1894

Karl Jauslin (* 21. Mai 1842 in Muttenz, BL - † 12. Oktober 1904 in Muttenz, BL) zeichnete 1893 das Bild oben für den Schweizer Nationalkalender von 1894.

Der Bundesrat verabschiedete 1850 ein Heimatlosengesetz, welches eine Zwangs-Integration von Heimatlosen vorsah. Das Gesetz gliedert sich in zwei Teile: Der erste Teil regelt die Integration (und die Zuweisung der Heimatlosen an die Kantone). Der zweite Teil umfasst Massnahmen, um das erneute Entstehen von Heimatlosigkeit zu verhindern.

Schweizer Nationalkalender 1894

Heimatlosengesetz des Bundes von 1850

Die zwangseingebürgerten Männer und Frauen erhielten zwar staatsbürgerliche Rechte sowie die Niederlassungsfreiheit (und im Falle der Männer das politische Mitspracherecht). Einige Leute beklagten sich jedoch, da die Leute zwar in den Bürgerstatus aufgenommen wurden, jedoch von den jeweiligen Gemeinden nicht immer das volle Ortsbürgerrecht erhielten (was sie vom sogenannten "Bürgernutzen" ausschloss).

Ein Bericht von 1852 stellte einen deutlichen Rückgang der Zahl der "eindringenden und wieder abgeschobenen Heimathlosen" stellte fest. Er führte die Entwicklung auf den Vollzug des Bundesgesetzes zurück. Bis 1854 stieg dagegen die Zahl der aufgegriffenen "Vaganten" an (das war damit zu erklären, dass eingebürgerte Heimatlose, welche weiterhin ein Leben als Fahrende führten, bei Arrestationen nun neu als "Vaganten" aufgeführt wurden).

Im Jahr 1854 wurde das Heimatlosengesetz des Bundes von 1850 abschliessend vollzogen.

Das Hilfswerk für die 'Kinder der Landstrasse' entstand 1926 als Projekt der halbstaatlichen schweizerischen Stiftung Pro Juventute. Sie wurde unter der Leitung des Lehrers Alfred Siegfried (15. Februar 1890 in Luzern- † 27. März 1972 in Oetwil am See) auf die Beine gestellt mit der von ihm formulierten Intention: « Wer die Vagantität erfolgreich bekämpfen will, muss versuchen, den Verband des fahrenden Volkes zu sprengen, er muss, so hart das klingen mag, die Familiengemeinschaft auseinanderreissen ». Mit Unterstützung der Vormundschaftsbehörden wurden Kinder von Fahrenden, insbesondere Jenischen, und ihre Familien systematisch und gegen den Willen der Betroffenen gewaltsam auseinandergerissen. Bis 1972, als das Projekt nach öffentlichem Druck eingestellt wurde, waren davon rund 600 Kinder betroffen. Das "Hilfswerk" wurde 1973 aufgelöst.

Oberriet

Typische Wander-Pfade

Gemäss den Amtsberichten der Regierung [ABer 1834, p.89] bestanden "Nomadenzüge" aus Heimatlosen. Folgt man diesen Zügen im laufe des Jahres, so waren diese im Frühling längs dem Grenzsaum des Kantons Thurgau gegen den Kanton St. Gallen aufgestellt, von wo sie in die Bezirke Alttoggenburg, Wil und Gossau eindrangen. Verfolgt von der Polizei dieser beiden Kantone, flüchteten sie sich danach nach Appenzell Innerrhoden und schlugen später, 20 Köpfe stark, auf der rheinthalischen Neualp ein Lager auf. Eine speziell angeordnete Streife scheuchte die Leute auseinander. Diese brachen nun in kleinem Abteilungen über Freienbach und den Rücken des Kamors nach Rüthi, Lienz und Sennwald auf.

Pfade von Fahrenden durch Oberriet

Basis für das Bild oben ist eine Karte aus Google Maps.

Im Herbst erschienen sie, nachdem sie von Thurgau her die Bezirke Wil, Gossau und Tablat beunruhigt und sich von da nach Innerrhoden begeben hatten, abermals, 22 Köpfe stark, in Freienbach und an der Grenze des Bezirks Werdenberg, wurden hier wieder aufgegriffen und zurückgeschoben. Im Kanton St. Gallen halten sich die Vaganten den Sommer über am liebsten bei der Linthschanze an der Glarnergrenze auf, von wo sie im Falle des Landjägereinsatzes leicht in die March entrinnen können.

Ein Hauptsammelplatz ist in der Gegend von Wil (oberhalb Rickenbach, auf dem sogenannten 'Hurenberg', im Bleikerhof, und bei Niederbeuren und Bischofszell (wo die schon seit mehr als 200 Jahren bekannte 'Bettelchuchi' liegt).

Einbürgerungen

Es sind keine speziellen Einbürgerungen von Fahrenden im 19. Jh. bekannt.

Erwähnung von Fahrenden in Oberriet

Die unten stehende Liste wird fortlaufend nachgeführt.

Montlingen Totenbuch 1773-1842

1774-05-04

Elisabetha Pfundin

Aus Mörschwil.

1777-04-03

Maria Anna Padantin

Schwanger verstorben.

1782-02-02

Maria Anna Dorothea Weberin

Aus Buech [Buochs?] in Unterwalden

1783-09-30

Joseph

Sohn des Ludovicus Carolus Feit aus Ottenbeuren und der Maria Barbara Wanz aus Ummerich.

Begriffe

Fahrende

Der Sammelbegriff Fahrende umfasst seit dem Spätmittelalter unterschiedliche Gruppen nicht sesshafter Menschen. Er wird bis heute von Nichtsesshaften zur Selbstbezeichnung und in der Amtssprache verwendet. Die Mehrheit des fahrenden Volkes bezeichnet sich seit dem 18. Jahrhundert als 'Jenische'.

Synonyme: Vagabund, Landstreicher.

Fecker

Im Gegensatz zu den Zigeunern sind Fecker oder Jenische aus sozial entwurzelten Elementen der sesshaften Bevölkerung entstanden. Sie werden als Volk wahrgenommen, stellen aber keine Rasse dar. Ihren Ursprung hatten sie alle mehr oder weniger im Mittelalter. Wegen den Regeln der damaligen Marktordnungen entstand das Hausiererwesen (zuerst in den Städten, später auf dem Lande). Hausierer versorgten die Familien mit allerlei Nützlichem wie Zündhölzer, Seife, Mercerieartikel und dergleichen. Alternativ betätigten sich Fecker als Stör-Handwerker vor Ort und erledigten kleinere Reparaturen an Hausrat-Artikeln wie Pfannen oder Körben.

Fecker waren durch ihre äusserliche Erscheinung gut erkennbar. Die Bekleidung war ausgetragen (Kleider-Geschenke nahmen sie dankend entgegen um daraus sogleich wieder "Bares" zu machen). Dazu trugen sie schwere Schuhe und im Mund eine (meist selbst gedrehte) Zigarette. Wie die Zigeuner auch, hatten die Fecker oft eine "eigene Sprache" (mehr ein an Kindersprache erinnernder Dialekt).

Gaunerzinken

Kriminelle Markierungen. 'Gauner' ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für Kriminelle oder Betrüger, während 'Zinken' vom mittelhochdeutschen Wort 'zinc' stammt, was so viel wie 'Zeichen' bedeutet.

Jenische

Die Herkunft der 'Jenischen' ist nicht restlos geklärt. Aus dem 'fahrenden Volk' und aus den 'Heimatlosen' entwickelte sich über die Jahrhunderte eine jenische Identität. Der Begriff 'jenisch' taucht zu Beginn des 18. Jahrhunderts erstmals im Zusammenhang mit der Sprache der Fahrenden auf (er bezog sich also auf die Sprache und nicht auf den Sprecher). Es gibt aber einzelne Wörter in Wortlisten des Spätmittelalters, die sich in der heutigen jenischen Sprache wiederfinden, was auf eine ältere Geschichte der Volksgruppe hinweist.

'Jenisch' ist ein erstes Mal für eine Wortliste aus dem Jahr 1714 bei Friedrich Kluge (1901) angegeben (betrügerische Wiener Kellner hätten sich auf "eine gewisse Redens-Arth" verlegt). Der Auszug enthält keine Hinweise darauf, dass es 'Fahrende' seien, welche so sprächen. Eine zweite Nennung findet sich in einer "Diebsliste" von 1716. Sie bezieht sich räumlich auf Schwaben. Die Aufgelisteten werden als "Rauber, Dieb, Beitel-Schneider und andere Jauners-Bursch" kategorisiert.

Eine erste Schrift, in der das Wort 'Jenische' nicht als Fremd-, sondern als Eigenbezeichnung für Gruppen von 'Fahrenden' verwendet wird, liegt mit dem 1793 anonym veröffentlichten Abriss des Jauner- und Bettelwesens in Schwaben vor, der dem Ludwigsburger Zuchthauspfarrer und Waisenhausdirektor Johann Ulrich Schöll zugeschrieben wird.

Rotwelsch

Rotwelsch ist ein Sammelbegriff für sondersprachliche Soziolekte bzw. "Dialekte" gesellschaftlicher Randgruppen: Nach einer frühen Erwähnung im Narrenschiff von 1494 als Sprach- und Charaktereigenschaft von Bettlern, ist der 1510 erschienene Liber vagatorum die wohl erste gedruckte grössere Darstellung und stellt mit den drastischen Worten des späten Mittelalters die (Sprach-)Welt von Bettelnden, fahrendem Volk (Vaganten), "unehrlichen Berufen" und Kriminellen in den Vordergrund.

In der Folge sind mit der Ansiedlung von Gruppen vormals Nichtsesshafter in den entsprechenden Regionen über den Sprachkontakt seit dem 17. Jahrhundert insbesondere lexikalische Einflüsse entstanden; zahlreiche Wörter des Rotwelsch wurden in die Umgangssprache aufgenommen.

Wandergeselle

Verschiedene Handwerker aus Berufen wie Maler, Zimmerleute und andere traditionelle Berufe gehen auf die Walz / die Tippelei. Dazu gehören auch Schmiede, Metallbauer, Bäcker, Maurer, Glaser, Sattler, Goldschmiede sowie Winzer. Ein Handwerker, der sich auf der Walz befindet, wird auch als 'Fremdgeschriebener' oder einfach auch als 'Fremder' bezeichnet. Man erkennt ihn an seiner Kluft. Diese besteht bei den Wandergesellen aus Zunfthose, Hemd, Hut (schwarzer Hut mit breiter Krempe, Zylinder, Dreispitz, Koks, etc.) und einem Wanderstab, den 'Stenz'. Der Wanderstab ist ein Symbol ihrer Zugehörigkeit zur Handwerkerzunft und dient auch als Werkzeug.

Wandergesellen sind keine Fahrende (die Dauer der Walz ist beschränkt, sie dauert jedoch mindestens zwei resp. drei Jahre und einen Tag). Während dieser Zeit dürfen die Gesellen sich ihrem Heimatort nicht näher als fünfzig Kilometer nähern und müssen vollkommen unabhängig leben. Auch dürfen sie keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, sondern müssen zu Fuss (oder heute auch per Anhalter) reisen. Sie dürfen kein eigenes Geld mit sich führen, sondern müssen durch ihre Arbeit ihren (ehrenwerten) Lebensunterhalt verdienen.

Siehe dazu auch 'Brauchtum' → 'Ledigenzeit'.

Zigeuner

'Zigeuner' ist ein teilweise umstrittener Ausdruck für ethnische Gruppen wie 'Roma' und 'Sinti' und teilweise weitere Gruppen, die damit assoziiert werden ('fahrendes Volk').

Roma und Sinti wanderten vor über 600 Jahren aus Indien nach Europa ein. Ihre Nachfahren bilden noch heute ein Minderheitsvolk. Zur Hauptsache leben diese heute vom Handel mit allerlei Waren.

 

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Erstellt durch Daniel Stieger (letzte Nachführung am 30. Dezember 2024)