Ortsnamen 'Kriessern'

Ueber die Entstehung des Ortsnamens Krießern

Die Ostschweiz, 29. März 1955, Nr. 148, Abendblatt I/II

Der Versuch, Ortsnamen und ebenso Ge-
schlechtsnamen zu deuten, bleiben immer ein heik-
les Beginnen. Sonnenklar, einer Deutung gar
nicht bedürftig, bietet sich mancher Name dar,
doch was so klar erscheint, erweist sich oft als
trügerisch. Klaus in Vorarlberg hieß ursprünglich
calcaires und für Mäder, ebendort, findet sich
noch 1261 der Name mariderun (siehe Vanotti
und Dr. Bergmann). Andere Namen, völlige
Fremdlinge, trotzen jedem Versuche, sie ihrer
Fremdheit zu entkleiden. Um nicht in die Irre
zu gehen, ist es geboten, die heutige Namensform
außer acht zu lassen und zu versuchen, die Ur-
form des Namens zu ermitteln. Diese ist in vie-
len Fällen schwer feststellbar, da sich die Namen
im Laufe der Jahrhunderte änderten. Welches ist
nun die Urform? Gibt es eine ältere als die eben
gefundene? Wo ist sie zu finden? Gelingt es, einen
Ortsnamen durch die Jahrhunderte bis ins 12.
Jahrhundert zurückzuverfolgen, dann darf man
mit ziemlicher Sicherheit annehmen, der Urform
sehr nahe zu sein. Dann erst kann der Versuch
gemacht werden, die Bedeutung des nunmehr von
aller Patina befreiten Namens zu ergründen.

Von unterricheter Seite wird vermutet, daß die
Ortsbezeichnung «Kreießern» auf die althochdeut-
schen Stammwörter «Cries, Grioz, Greoz» zu-
rüchzuführen sei, die Kiesboden bedeuten. Krie-
ßern wäre demnach eine Niederlassung auf einer
Kiesbank gewesen. Diese Deutung kann nicht
völlig befriedigen. Wo heute der Ort Krießern
sich ausdehnt, waren zur Zeit der Gründung des
Königshofes nur die ausgebreiteten Rinnsale des
Rheines zu sehen und töricht wäre es gewesen,
auf diesem immer wieder überfluteten Sand- und
Schotterfeld auch nur primitivste Unterkünfte zu
errichten. Für solche Zwecke konnte nur ein hö-
her gelegener Geländeteil in Frage kommen, der
auch bei Hochwasser sicheren Schutz gewährte,
aber in der weiten Talebene sich nicht darbot.
Auch das Montlinger Berglein mochte sich in
solchen Zeiten als ein allseitig bespülter Insel-
berg dargestellt haben. Nun ist auffallend, daß
Konrad von Pfäfers, der Geschichtsschreiber des
Klosters St. Gallen, in seinem Bericht (um 1200)
den Sitz des Hofes «ad cresarim» fixiert (Pertz,
scriptores II., Seite 182); vermutlich fand er
diese Ortsbezeichnung in alten Aufschreibungen
und glaubte in diesem Falle den ursprünglichen
Ortsnamen gebrauchen zu müssen. «Cresara»
(vom althochdeutschen chresan - anklimmen)
heisst «Steig» und gibt mit dem Vorwort ad, das
eine Beziehung zu einer bestimmten Oertlichkeit
in der Landschaft andeutet, einen beachtens-
werten Wink. Im Urbar der Herrschaft Neuburg
findet sich mehrfach die Flurbezeichnung «uff
dem Staig», «am Staig»; es ist dies der Weg, der
noch heute von der Koblacher Kirche hinunter-
führt zum Fuß des Berges und zum uralten
Theinübergang nach Montlingen. Vielleicht war
dies die einzige Wegverbindung zu den Siedlun-
gen auf dem Montlinger Berglein, wo die Aus-
grabungen Wohnplätze und Hafnereien aus älte-
ster Zeit zutage gefördert haben. Da oben nun,
am Hange des Kumen, mit Sicht auf das tiefer
liegende Tal, vermutlich auch in der Nachbar-
schaft des königlichen Forsthauses Kobelon
dürfte sehr wahrscheinlich erstmals das Verwal-
tungshaus der Bauführung gestanden haben; das
war der curtis ad (apud) cresarim, der Hof am
oder in der Nähe des Steiges. Später, im Laufe
fortgecshrittener Rodung und Bodengewinnung
rheinabwärts, wird die Bauführung ihren bisheri-
gen Standort verlassen haben und in das Gelände
des heutigen Ortes Krießern übersiedelt sein, wo-
bei sie die bisherige, eingeführte Standortbezeich-
nung mitgenommen und weitergeführt hat. Diesen

Die Ostschweiz, 29. März 1955, Nr. 148, Abendblatt II/II

Vorgang finden wir auch in anderen Fällen. Das
Kloster Ufers bei Göfis (bei Feldkirch) über-
siedlte nach Graubünden und nahm seinen Na-
men mit Im Buche von Dr. Ulmer «die ge-
schichtlichen Straßennamen in Groß-Feldkirch»
lesen wir: «Ortsname Altenstadt: ursprünglich
um 830 und wiederholt, zuletzt 1474 «Feldki-
riche», seit Mitte des 14. Jahrhunderts (1347)
«Alte Stadt», als Korrelat zu dem um 1218 vom
ersten Montforter Grafen am Fuß der Schatten-
burg geschaffenen bzw. begründeten Burgvorwerk
«Neue Stadt», Neustadt, dem ältesten Stadtteil
von Feldkirch, auf welche Siedlung der Name
aufwandernd, überghegangen war. Au dieser
neuen Siedlung im Burgschatten, die der Graf
alsbald zu Stadt dekreditierte, blieb denn auch in
der Folge der Name «Feldkirch» haften. Sehr
viele, ja die meisten Orts- und Geschlechtsnamen
erlitten im Laufe der Jahrhunderte Umgestaltun-
gen, durch die die Urform verdeckt wurd. Das-
selbe warf auch beim Ortsnamen Krießern der
Fall. das später von manchen Urkundenschrei-
bern gebrauchte Vorwort «apud - bei» (apud
Criesserun) weist aber noch zurück auf den ehe-
maligen Standort am Steig im königlichen Kam-
merforst Kobelon. L.R.

Quelle: 'Die Ostschweiz', 29. März 1955, Nr. 148, Abendblatt.

Eine Erwiderung

Die Ostschweiz, 21. April 1955, Nr. 184, Abendblatt I/II

Im Nr. 148 der «Ostschweiz» versucht L.R. dar-
zutun, daß der Ortsname Krießern von «Cresara»
(im Sinne von Steig), althochdeutsch chresan = an-
klimmen, abzuleiten sei. Die bisherige Deutung auf
ahdt. «Cries, Grioz, Greoz» sein nicht völlig befriedi-
gend. Zur Begründung seines Standpunktes macht der
Einsender geltend, daß dort, wo sich heute der Ort
Krießern ausdehnt, zur Zeit der Gründung des Kö-
nigshofes, nur die ausgebteiteten Rinnsale des Rheines
zu sehen gewesen seien. Daher wäre es törich ge-
wesen. auf diesem immer wieder überfluteten Dand-
und Schotterfeld auch nur primitiveste Unterkünfte zu
errichten. Ausgangspunkt für den Königshof Krießern
sei vielmehr der auf vorarlbergischem Boden gelegene
Kummenberg mit dem königlichen Forsthaus «Kobe-
lon» gewesen. Später im Laufe fortgeschrittener Ro-
dung und Bodengewinnung habe die Bauführung
ihren bisherigen Standort verlassen und sei in das
Gelände des heutigen Ortes Krießern übersiedelt, wo-
bei sie die bisherige, eingeführte Standortsbezeichnung
mitgenommen und weitergeführt habe. L.R. weist
dabei auf angebliche ähnliche Vorgänge hin bei der
Uebersiedlung des Klosters Tufers bei Göfis-Feld-
kirch und bei der Wanderung des Namens Feldkirch
von Altenstadt nach dem jetzigen Standort.

Zu den Ausführungen von L.R. ist was folgt an-
zubringen: Es ist ein Grundsatz in der Urkundenlehre
(Diplomatik), daß ein Ort immer dort gesucht wer-
den muß, wo er urkundlich zuerst auftaucht. Daher
ist äußerste Vorsicht am Platze bei angeblichen Wan-
derungen von Ortsnamen. Dies zeigen gerade die bei-
den von L.R. erwähnten Beispiele. Es ist hier nicht
der Ort, um auf den jahrzehntelangen Streit betr.
Kloster Tufers (Tuberis) und Altenstadt-Feldkirch ein-
zugehen. Die Wissenschaft ist trotzdem in diesen bei-
den Fällen noch zu keinem eindeutigen Schlusse ge-
kommen. Zu bedenken ist ferner, daß die Rhein-
ebene im Mittelalter nicht mehr jene «schauerliche
Widnis» war, von der Ammianus Marcellinus noch
zur Zeit der Völkerwanderung spricht. Unverständ-
lich ist es, warum sich denn das Gebiet des heutigen
Krießern erst im Verlaufe der Zeit als besiedlungs-
und kulturfähig erwiesen haben soll und nicht schon
früher. Wie gerade auch von österreichischen Gelehr-
ten verschiedentlich dargetan wird, haben sich die
Rheinüberschwemmungen im Mittelalter weniger ge-
fährlich erwiesen als in der neueren Zeit. Die Ero-
sionsmöglichkeiten des Wassers in Graubünden u. im
Montavon-Walgau waren infolge des noch viel dich-
teren Waldbestandes viel geriger und daher dem
Wasser ein langsamerer Abfluß ermöglicht. Die zahl-
reicheren Rheinarme gewährleisteten zudem eine bes-
sere Verteilung des Wassers bei einem allfälligen
Anschwellen des Flusses. Die natürlichen Gegeben-

Die Ostschweiz, 21. April 1955, Nr. 184, Abendblatt II/II

heiten von Krießern haben sich auch nach durchge-
führter Rodung und Besiedlung nicht wesentlich ver-
ändert, sondern sind dieselben geblieben. Wie die
topographischen verhältnisse zeigen, liegt Krießern
tatsächlich auf einer Sandbank, etwas erhöht vom
umliegenden Gelände. Dieser Umstand war auch
schon in staufischer Zeit bekannt, als der Ausbau des
sit Karolingerzeit bestehenden Reichsforstes inten-
sive Formen annahm. Diese von den Staufern be-
sonders geförderte Kolonisationstätigkeit hängt zu-
sammen mit dem Aufkommen der «freien Bauern»,
wie dies in verschiedenen Gegenden der Schweiz und
Schwabens beobachtet werden kann. die Bezeichnung
«Cobolo» in der Urkunde vom 30. August 890 ist
als südlichster Punk des ehemaligen karolingischen
Bannforstes Krießern anzusehen und kann daher nur
im Raume von Kobelwald-Kobelwies-Koblen bei Rüthi
gesucht werden. Warum wurde denn sonst nicht dem
Reichshof Krießern der Name «Kobelon» mitgege-
ben, wie dies doch naheliegend gewesen wäre, wenn
schon von einer Ortsnamenwanderung die Rede sein
soll?

Die bisherige Forschung war wohl gut beraten, als
sie den Ortsnamen Krießern auf die alt- und mittel-
hochdeutschen Wörter «grioz, griut, grisz, grieß,
griz», und zwar im Sinne einer ursprünglich vom
Rhein angeschwemmten Kies- und Sandbank, zurück-
führte. Krießern (Chrießere, Grießeren) ist also das
auf einer Anschwemmung des Rheins liegende Dorf.
Nichts spricht dafür, daß dieses auch andernorts in
zahlreichen Variationen vorkommende Wort zugun-
sten eines angeblichen «Cresara» verdrängt werde.

Wenn L.R. seine Ansicht auf die bei Pertiz, MGH
SS II S. 182 zitierte Bezeichnung des st. gallischen
Klostergeschichtsschreibers Konrad von Pfäfers (de
Fabaria) «ad Cresarim» (aichtig «ad Cressarim»),
stützt, so übergeht er, oder erwähnt doch wenigstens
nicht, dass ebenda S. 180 von einer «Curtis in Cres-
sarium» (einem Hof in Krießern) die Rede ist. Offen-
bar werden die Ausdrücke «ad, apud, in Cressarim»
(zu, bei, in Krießern) als miteinander identisch ge-
braucht. Die kaiserliche Kanzlei, die doch wohl über
die Schreibweise der Königshöfe im Bilde sein mußte,
spricht in der fraglichen Urkunde von 1229 - es
handelt sich um die Schenkung des Reichshofes Krie-
ßern für geleistete Dienste an den Abt von St. Gal-
len, Konrad Bußnang, durch König Heinrich (VII.)
- nicht von einem «Cressarim», des Romanen Kon-
rad von Pfäfers, sondern von einem «Criesserun».
In ähnlichem Sinne heißt es in den zahlreichen kai-
serlichen und königlichen Freiheits- und Privilegien-
urkunden für den freien Reichshof Krießern: «Crie-
seron, Crießeren, Crießerrun, Criezeren, Grießeren,
Griezzerun, Grießern, Grißern, Khrießeren, Khry-
ßeren, Kriechseron, Krieseren, Krieseron, Krießeren,
Kryeseren, Rießeren».

Im Sinne der bisherigen Auffassung sprechen sich
aus: Schweiz. Idiotikon (Wörterbuch der schweizer-
deutschen Sprache); Gebr. Grimm, Deutsches Wör-
terbuch; Kluge/Goetze, Deutsches Wörterbuch, Förste-
mann/Jellinghaus, Altdeutsches Namenbuch; Fischer
Hermann, Schwäbisches Wörterbuch; Oetti Paul,
Deutschschweizerische Ortsnamen; Bach Paul, Deut-
sche Namenskunde. (ich darf vielleicht in diesem Zu-
sammenhang erwähnen, daß die genauen Belege zu
dieser Frage in meiner demnächst erscheinenden juri-
stischen Dissertation über den freien Reichshof Gie-
ßern angeführt sind.) P. Kluser

Quelle: 'Die Ostschweiz', 21. April 1955, Nr. 184, Abendblatt.

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Fragen bitte per e-Mail an mich!

 

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Erstellt durch Daniel Stieger (letzte Nachführung am 13. April 2012)