Nachruf
Säckelmeister Willi Schürpf, Appenzell
(1904—1961)
Von Dr. Hermann Großer
Sieben Monate nach dem unerwarteten Hinschied von Landammann
Beat Dörig verlor das Innerrhoder Volk erneut ein Mitglied seiner obersten Kantonsbehörde:
am 7. Juni 1961 erlag Säckelmeister Willi Schürpf den Folgen einer schweren Magenoperation,
die sich als notwendig erwiesen hatte und von der er nach langem Leiden Linderung erhofft hatte.
Nicht daß er ob seiner Beschwerde untätig gewesen wäre,
sondern er kam seinen Pflichten wie ein Mann in der vollen Lebenskraft nach und niemand hätte ahnen können,
daß er vom frühen Tode gezeichnet war.
Die Arbeitsfülle und die vielen Unannehmlichkeiten, die heute mit einem Regierungsamt verbunden sind,
haben ihn zu sehr verbraucht, so daß, als einmal der ärztliche Eingriff notwendig war,
die körperlichen Kräfte zu gering waren und das Herz zu schlagen aufhörte.
So begleitete am 10. Juni eine große Volksmenge seine sterbliche Hülle auf den Gottesacker zu St. Mauritius
und neben acht Delegationen der ostschweizerischen Kantone erwiesen ihr zahlreiche Vereine und Körperschaften die letzte Ehre.
Willi Schürpf ist am 26. Februar 1904 als Sohn des Stickers Josef Anton und der Anna Maria Signer
in einem kleinen Häuschen in der Nähe des Bahnhofes Appenzell geboren.
Ihm voran sind den Eltern Schürpf schon zwei Kinder geschenkt worden,
doch starb das jüngere Schwesterchen Anna Maria schon im zarten Alter von einem Jahr
und das gleiche Los erlitten auch zwei von den drei nachgeborenen Geschwistern.
Die Eindrücke dieses frühen Verlustes und die einfache Lebensweise der Eltern blieben auf den heranwachsenden Knaben nicht ohne Eindruck, denn Willi Schürpf zeigte zeitlebens viel Verständnis für soziale Probleme und er hat denn auch maßgeblich mitgeholfen,
die Auffassungen der allzu konservativen Kreise zeitaufgeschlossener und moderner zu formen.
In einem gütigen und lieben Vaterhaus verbrachte er eine schöne Jugendzeit.
Nach zwei Jahren Realschule am Kollegium St. Anton zog Willi Schürpf für ein halbes Jahr nach Estavayer in ein Institut,
um anfangs Juli 1921 als Hilfsangestellter bei der kantonalen Steuerverwaltung in den Staatsdienst zu treten.
Nach Bestehen der Rekrutenschule im Jahre 1924 wurde er zum Substituten dieser Verwaltung befördert,
dann aber bald auch für Arbeiten im Armen- und Polizeisekretariat,
auf dem Zivilstandsamt und Kreiskommando und sogar als Stellvertreter des Gerichtsschreibers beigezogen.
Überall bemühte er sich, tiefer in die ihm begegnenden Probleme einzudringen, und so bildete er sich ständig weiter.
1933 wurde ihm der Posten des Betreibungs- und Konkursbeamten übertragen,
den er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst im Jahre 1947 versah.
Auf diesem Posten hat er in den Dreißigerjahren mancherlei Not und Sorge mitansehen müssen,
denn diese Krisenjahre drückten vielerorts und als «Scholdebotz» hat er manche Aufgabe erfüllen müssen,
die für ihn auch eine schwere seelische Belastung bedeutete und den Sinn für eine soziale Gerechtigkeit noch mehr in ihm vertiefte.
Als Wegbereiter der christlich-sozialen Bewegung in Innerrhoden
und dank seiner eifrigen politischen Tätigkeit wurde er am 5. Mai 1946 zum Ratsherrn des Bezirkes Appenzell gewählt,
obwohl es damals noch weite Kreise gab, die es nicht gern sahen, wenn ein Angestellter des Staates in eine Behörde gewählt wurde.
Dies kam denn auch im Großen Rat zum Ausdruck, indem ein bäuerlicher Reierungsvertreter den Beschluß veranlaßte,
das Amt eines Bezirkshauptmanns oder eines Mitgliedes der Standeskommission
sei nicht mit einer staatlichen Anstellung vereinbar und daher sei das Arbeitsverhältnis mit ihm aufzulösen (25. November 1946).
Dessen ungeachtet wurde Willi Schürpf im Mai 1957 trotzdem das regierende Hauptmannamt von Appenzell übertragen,
er aber trat aus dem Staatsdienste aus und schuf sich durch den Kauf des Gasthauses zur Sonne am Landsgemeindeplatz eine neue Existenz.
Auf zwei Jahre eifriger Tätigkeit als regierender Hauptmann folgte für die gleiche Dauer
eine Tätigkeit als stillstehender Hauptmann von Appenzell
und am letzten Sonntag im April 1951 erkor ihn die Landsgemeinde ehrenvoll zum Mitglied des Kantonsgerichtes.
Auch in dieser obersten richterlichen Behörde erwarb er sich bald das Vertrauen aller Kollegen,
denn diese wählten ihn 1954 zu ihrem Vizepräsidenten,
womit er zum ersten Sprecher und Antragsteller wurde und eine verantwortungsvolle Aufgabe zu versehen hatte.
Schon sein bisheriger Werdegang hat ihm manch wertvolle Erkenntnis verschafft
und wenn er sich einmal unsicher fühlte, dann studierte er die einschlägigen Kommentare und Entscheide.
Als die Landsgemeinde 1957 infolge einer Dreierdemission verschiedene Landesämter neu zu vergeben hatte,
wählte sie ihn zum Vorsteher des Landessäckelamtes, jenes Regierungsamt,
das mit demjenigen des Landesfähnrichs zu den unpopulärsten gehört,
weil ein kleiner, finanzschwacher Bergkanton immer zu wenig hat
und den stets wachsenden finanziellen Anforderungen auch entsprechende Einnahmen gegenüberstellen muß.
Mit Elan und Sachkenntnis arbeitete sich Willi Schürpf in die sich stellenden Probleme ein
und hatte auch den Mut, Dinge zu sagen und zu vertreten, die nicht unbedingt populär sind.
Es ist ein schweres Ding, dem kleinen Lande die notwendigen Mittel zu beschaffen.
Es ist nicht leicht, neue Einnahmequellen zu erschließen.
Es trifft sehr oft den, der es tut, der Vorwurf, nicht sparen zu können.
Dabei wissen alle genug, daß auch öffentliche Aufgaben entsprechende Mittel verlangen,
daß sie nicht mit guten Worten und gutem Willen allein zu lösen sind.
Willi Schürpf hat getan, was er für recht gehalten.
Es fiel ihm manchmal schwer, nein sagen zu müssen, wo er aus sozialen und menschlichen Überlegungen weit lieber ja gesagt hätte.
Er konnte eben nur über jene Mittel verfügen, welche der Staat hatte, sagte Standespfarrer Dr. A. Wild von ihm anläßlich der Beisetzung.
Auf der Suche nach neuen Geldmitteln wehrte er sich für die Einführung der Grundstückgewinnsteuer,
was ihm nach einem zweiten Anlauf auch wirklich glückte.
Die Schaffung der zweiten Grundstückschatzung zu Steuerzwecken verfolgte den gleichen Zweck,
während der Ausbau der kantonalen Versicherungen mehr sozialen Verbesserungen diente.
Eifrigen Anteil nahm er an der Schaffung von Straßengesetz und zugehörender Verordnung,
damit auf diesem Sektor ebenfalls eine klare Rechtsordnung herrsche.
Daneben gehörte Willi Schürpf als einflußreiches und initiatives Mitglied ebenfalls der kantonalen Baukommission,
der Kriminalkommission, der Industriekommission und der Armenkommission an
und unter ihm als Vorsteher der Salzfaktorei wurde die Fluorierung des Salzes eingeführt.
Im weiteren stellte er seine Kräfte und seine Kenntnisse auch dem Verwaltungsrat der Genossenschaftsbuchdruckerei Appenzell
sowie als Kommissionsmitglied der Korporation «Zahmer Bann», des Jahrgängervereins, der Feldschützen Appenzell,
der OSKA, der Stenographia Säntis und der Feuerschauverwaltung Appenzell,
deren Präsident er sogar noch wenige Monate vor dem Tode geworden war, zur Verfügung.
Überall tat er sein Bestes und gab durch seine aufgeschlossene und weitsichtige Haltung neue Impulse,
erntete dafür aber auch neben Undank verschiedentliche Ehrungen und Anerkennungen.
Noch als Regierungsrat war er bereit, bei Lehrabschlußprüfungen als Experte für Stenographie mitzuwirken,
stundenlange Korrekturarbeiten nicht scheuend und befürwortete trotz Widerständen die fällig gewordene Erweiterung des Feuerschaukreises.
Während des Aktivdienstes erfüllte er seine militärische Pflicht auf dem Fliegerbeobachtungsposten des hohen Säntis
und war seinen Dienstkollegen stets ein ergebener und unterhaltender Kamerad.
So übte Säckelmeister Willi Schürpf zahlreiche Funktionen im Dienste von Organisationen und Öffentlichkeit aus,
weshalb sein früher Tod vielerorts eine tiefe Lücke riß.
Am meisten vermißt ihn jedoch seine kinderreiche Familie, der er ein treubesorgter Gatte und Vater voll Güte war.
Seine ganze Kraft und den Großteil seines Lebens opferte er, der selbstverständlich auch seine menschlichen Seiten hatte,
der Familie, den Mitmenschen, den Vereinen und Organisationen sowie der gesamten Öffentlichkeit;
er sicherte sich dadurch ein dankbares und dauerndes Andenken.
Appenzellische Jahrbücher, Band 89 (1961)
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