Goldenes Priester-Jubiläum (2009)
50 Jahre nach seiner Priesterweihe durch Bischof Josephus Hasler, am 15. März 1959 in St. Gallen, feiert Lorenz Wüst das «Goldene Priester-Jubiläum». Sein Weg als Kaplan und Pfarrer führte
ihn nach Au, Eschenbach, Oberegg, Widnau, Diepoldsau und Balgach. Seit 2002 ist er im Ruhestand.
Herr Pfarrer, 50 Jahre im Dienst der Kirche. Haben Sie es nie bereut, diesen Weg gewählt zu haben?
Lorenz Wüst: Ich würde den Beruf wieder wählen, oder um genauer zu sein, ich liesse mich wieder dazu berufen. Es war für mich ein Abenteuer, mit Gott den Menschen zu begleiten. Immer mehr
staune ich über die Ausrüstung, die ich dazu bekam. Für mich wurde der Heilige Geist ein vertrauter Begleiter. Noch mehr würde es mir gefallen, wenn der «Papierkrieg» mit den vielen Weisungen,
Statuten und Vorschriften, dünner wäre.
Seit sieben Jahren sind Sie im Ruhestand. Trotzdem arbeiten Sie immer noch regelmässig. Würden Sie nicht lieber Ihren Ruhestand geniessen?
Wüst: Ich war in den letzten Jahren an vielen Sonntagen im Einsatz. Ich kann das «Vater unser», nicht einfach in die Garage stellen. Ich brauche das Spirituelle und damit den Gottesdienst. Ich
möchte das tun, was ich gelernt habe. Würde ich heute sagen, «ich höre jetzt auf», wäre mein bisheriges Leben nur Theater gewesen.
Sie müssen auch noch arbeiten, weil junge Priester fehlen. Wie konnte es dazu kommen?
Wüst: Heute haben Familien nur noch ein bis zwei Kinder. Eines dieser Kinder für den kirchlichen Dienst herzugeben fällt vielen schwerer als früher. Ich hatte sieben Brüder. Dies machte es den
Eltern leichter, einen gehen zu lassen. Ausserdem ist der Beruf nicht so attraktiv. Man hat keine Aufstiegschancen, und auch die Angst vor der Verantwortung ist gross. Ich kenne aber auch junge
Leute, die gerne Priester geworden wären, dies aber von daheim aus nicht durften. Meine grosse Hoffnung sind die Laien. Ich glaube, dass der Laiendienst grössere Bedeutung in der Kirche
bekommen wird.
Hatten Sie nie den Wunsch, ausserhalb der Schweiz zu arbeiten?
Wüst: Ich bin ein Heimweh-Mensch. Als Student wurde ich von den Missionaren und von Weissen Vätern für den Einsatz in Afrika beworben. Es war mir aber zu weit weg. Ich wollte lieber hier
bleiben.
Welche Aufgaben haben Sie als Pfarrer gerne erfüllt und welche nicht?
Wüst: Ich arbeite nicht gerne unter Stress. Predigten, Verkündigungen sowie Jugend- und Krankenseelsorge machte ich immer gerne. Das waren Aufgaben, bei den ich den Menschen in seiner Not
oder Freude erfahren habe.
Waren vor 50 Jahren die Menschen religiöser?
Wüst: Ich bin arm aufgewachsen. Wir sassen zu vierzehnt am Tisch. Es gab Zeiten, in denen uns unsere Mutter ohne Nachtessen ins Bett schicken musste. Der Magen knurrte. In diesen Zeiten hat
man Religion als Stärkung empfunden. Wir haben das Spirituelle gebraucht, um den Kopf nicht hängen zu lassen.
Waren die Kirchen damals auch voller?
Wüst: Das religiöse Leben war für viele Stärkung. Früher fanden auch mehr Prozessionen statt. Die Kirchen waren damals wirklich voller. Die Quantität hat gestimmt. Nicht aber Qualität. Obwohl
heute die Kirchen halb voll sind, ist die Qualität umso interessanter. Die Liebe zu Gott oder zum Menschen kann ich auf verschiedene Arten zeigen. Öffentlich in der Liturgie, still oder durch die
Erfahrung als Leidender.
Früher nahm man es mit der Beichte auch etwas strenger.
Wüst Das Wochenende im heutigen Sinn wurde erst erfunden, als man aufhörte, in die Kirche zu gehen. Ich kann mich erinnern, dass bei uns das kirchliche Wochenende ausgefüllt war mit
Rosenkranz am Samstag, Frühmesse am Sonntag und noch einer dritten Messe. Drei Gottesdienst am Wochenende waren für uns üblich. Die Beichte war Pflicht, wenn man zur Kommunion gehen
wollte. Aber alles wurde als normal empfunden und gelebt.
Waren die Priester früher strenger?
Wüst: Die ganze Struktur war anders. Der Priester, der Lehrer und der Arzt haben das Dorf «regiert.» Alle andern haben sich gebückt. Der Pfarrer, früher Hochwürden genannt, war eine
Respektsperson. Man hatte Angst vor ihm. Viele haben diese Macht gebraucht oder auch missbraucht. Damals hatte alles seine Ordnung. Die Messe wurde lateinisch gehalten. Zweimal wandte ich
mich beim Evangelium zum Volk und las das Evangelium deutsch. Ich wurde beim Bischof verpfiffen und musste mich wegen Ungehorsams bei ihm persönlich entschuldigen.
Immer mehr Leute treten aus der Kirche aus. Vielen sagt die Kirche nichts mehr. Was sagen Sie zu diesen Menschen?
Wüst: Es wird nie darüber geredet, wie viele Leute der Kirche beitreten. Ich habe viele in der Kirche aufgenommen. Manchmal waren es sogar mehr als solche, die ausgetreten sind. Viele Menschen
treten innerlich aus. Sie zahlen zwar die Steuern, in der Kirche sieht man sie nie. Bei denen braucht es nicht viel, um ganz auszutreten. Trotz Kirchenaustritt geben diese Menschen jedoch ihren
Glauben nicht ab. Sie kehren nur einer Gemeinschaft den Rücken zu. Das Verhältnis zu Gott bleibt. Meine Pflicht als Pfarrer ist, für sie zu beten.
Wie hat sich die Kirche in den letzten Jahren verändert?
Wüst: Als ich Priester wurde, war alles noch nach alter Ordnung. Dann kam der Umbruch. Ich war Synodale der Synode 72. Es galt, die Synode zu verwirklichen, und es kam ein neuer Wind. Die
erste Begeisterung fehlte nicht. Es ging ja um das Umsetzen des Vatikanums. Pfarreiräte wurden gegründet, Kompetenzen abgegrenzt. Zwischen Pfarrer, Kirchenverwaltung, Laientheologen und
Pfarreirat gab es einige Reibereien. Langsam kam die Gewohnheit in den Raum, und es wurde vieles wieder leichter. Als Kaplan und als Pfarrer erlebte ich das Abenteuer vom Staffelgebet bis zur
Jodlermesse. Doch bald wurde die Frische von der Gewohnheit abgelöst. Anderseits blühte im profanen Bereich das Vergnügen, und der Wohlstand hatte keine Fragen mehr an Gott. Die Kirchen
wurden leer. Die Volkskirche gehört der Vergangenheit an. Davon gibt es nur noch Trauerbildchen. Die echten Trauerbildchen gibt es auch nicht mehr. Bei allem hat die Quantität abgenommen,
dafür hat die Qualität zugelegt. Wenn die Kirche der Laien auf uns zukommt, kann ich mich freuen, weil ein neuer Stil, ein neues Blut die Kirche belebt. Also warum klagen?
Heute wird viel über den Zölibat geredet. Nach 50 Jahren als Priester können Sie bestimmt sagen, ob ein verheirateter Priester diese Aufgaben gut machen könnte.
Wüst: Wenn ich eine Familie gehabt hätte, hätte ich vieles nicht machen können. Ich war 27 als ich mich für oder gegen den Zölibat entscheiden musste. Sicher hätte ich am Anfang gerne eine
Frau gehabt. Für mich war aber der Verzicht auf das eigene Kind viel grösser. Das war der Preis für meine Berufung. Eigentlich ist es paradox. Heute will der Laie nicht mehr heiraten und die
katholischen Priester sollen wieder heiraten dürfen? In den 80er-Jahren wurde in der Schweiz eine anonyme Umfrage durchgeführt. Die Priester wurden gefragt, ob sie den Wunsch haben, zu
heiraten. 80 Prozent haben sich keine Ehe gewünscht. Auch ich habe mich damals gefragt, welche Arbeit ich machen würde, wenn ich kein Priester wäre. Ich habe aber keine Antwort
gefunden.
Sie sind jetzt 77 Jahre alt, 50 Jahre Priester, welche Wünsche haben Sie an die Zukunft?
Wüst: Ich wünsche mir, dass für mich alles gut zu Ende geht, und dass ich ruhig sterben kann. Ausserdem möchte ich nicht pflegebedürftig werden und anderen zu Last fallen. Ich wünsche mir
noch ein wenig Zeit, um das zu machen, was ich kann.
Interview: Susi Miara
Quelle: Ostschweizer Tagblatt Online: 9. April 2009.
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80. Geburtstag
Tausenden war er Seelsorger
KRIESSERN. Heute Dienstag, 13. November, kann Pfarrer Lorenz Wüst bei guter Gesundheit und beneidenswerter geistiger Vitalität seinen 80. Geburtstag feiern.
Pfarrer Wüst ist seit bald 54 Jahren Priester und dies mit Leib und Seele, mit unwahrscheinlich grossem, vielseitigem Engagement und stets mit dem Leitgedanken im Herzen, Seelsorger für alle zu sein. Seine seelsorgerische Tätigkeit war und ist heute noch geprägt von der franziskanischen Spiritualität. Dass er sein Studium bei den Kapuzinern absolvierte, prägte sein Leben, seine Arbeit und nicht zuletzt auch das Mitfühlen und Engagement für die Schöpfung.
Jungwacht gegründet
Während über 30 Sommerlagern war er mit jungen Menschen unterwegs, und während fast drei Jahrzehnten war er passionierter Feldprediger. Pfarrer Wüst gründete ein Jugendforum und eine Jungwacht. Der Dienst an Kranken, Behinderten, Aussenseitern, Drogenabhängigen und Menschen auf der Schattenseite des Lebens lag ihm besonders am Herzen. Diese Menschen wussten um sein stets offenes Ohr, sein mitfühlendes Herz.
Da sein für Suchende
Auch wenn Lorenz Wüst, der als Pfarrer in Oberegg, Widnau und Diepoldsau tätig war, längst das Pensionsalter erreicht hat, bedeutet dies für ihn nicht Stillstand, sondern immer noch da sein für suchende Menschen. Zudem feiert er noch Gottesdienst im Franziskusheim in Eichenwies, was nicht nur von den Missionsfranziskanerinnen sehr geschätzt wird. Erholung und Kraft findet der Jubilar vor allem im Gebet aber auch beim Kochen und Wandern. Pfarrer Lorenz Wüst sei für die kommende Zeit Gottes Segen, gute Gesundheit und weiterhin viel Freude bei der Arbeit als Seelsorger gewünscht. (rz)
Quelle: Ostschweizer Tagblatt Online: 13. November 2012.
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