Das Rheinhochwasser von 1868

Das Rheinhochwasser von 1868

Josef Kuster, Au

Unser Jahrbuch hat im Laufe der 25 Jahre seines Erscheinens mehrmals von der einst so gefürchteten Rheinnot berichtet. Schon der erste Jahrgang bot eine Uebersicht über die zahlreichen Notzeiten, wie sie früher Land und Volk am Rhein heimsuchten.

Von den insgesamt 16 Rheinkatastrophen des letzten Jahrhunderts gilt das Hochwasser vom 28. September 1868 als das grösste und schrecklichste. Ein eindrückliches Bild dieser grossen Rheinüberschwemmung, die vor 100 Jahren über unser Tal hereingebrochen, möchte uns die Nöte und Sorgen unserer Vorfahren wieder in Erinnerung rufen.

Zum besseren Verständnis stellen wir uns unsere Talschaft vor 100 Jahren vor, als der Rhein noch ungleich breit und nur von niedrigen Dämmen bis zu zwei Meter Höhe begleitet, in gekrümmtem Lauf gemächlich dahinfloss. Die Binnenkanäle bestanden noch nicht, dagegen mündeten zahlreiche Bäche in den Talfluss ein, so zum Beispiel der alte «Güllen», der wie das Aecheli in vielen Windungen durch das Dorf Au floss und sich im Monstein unten in den Rhein ergoss. Der Uferschutz mit seinen Wuhr- und Dammarbeiten, die meistens als Frondienst geleistet wurden, war bis 1862 Sache der Gemeinden, was zur Folge hatte, dass Dämme und Wuhre ganz ungleich stark gebaut waren.

Au bei der Eröffnung der Theintal-SBB Linie 1858

Au bei der Eröffnung der Theintal-SBB Linie 1858.

Nebst einer mir seinerzeit zur Verfügung gestandenen Privatchronik konnten mir vor ca. dreissig Jahren alte Leute ihr Selbsterlebtes über das Hochwasser vom Herbst 1868 noch erzählen. Erst wenn man jene hört, die Zeuge dieser Unglückstage gewesen sind, erhält man einen Begriff von der Not und den Schrecknissen, die die Bewohner unserer Rheindörfer immer wieder durchzustehen hatten, wenn nach angstvoll durchwachter Nacht und vergeblichem Kampf der Wasserwehr jeweils Aecker und Wiesen stundenweit unter Wasser begraben lagen und an manchen Orten nur noch die Hausdächer und Baumkronen aus der schmutzigen Wasserfläche herausragten.

I.

Ein allgemeiner Bericht sei vorausgeschickt. Montag, den 28. September 1868 läuteten die Sturmglocken im Rheintal zum grössten Hochwasser des Jahrhunderts. Ein ausnahmsweise trokkener und warmer Sommer war dem Herbst vorausgegangen. Im Rheintal war mehrere Wochen bis Ende September kein Regen gefallen, aber ein heftiger Föhn brauste durchs Tal. Darauf folgten im Bündnerland heftige Gewitter mit ausserordentlich starken Regengüssen. Vom 26. bis 28. September wurden in Bernhardin 540 mm, also über einen halben Meter, am Gotthard 348 mm Niederschläge gemessen. Am Unglückstag war es in unserem Tal heiter und trocken bis Sennwald, wo schon die Saarebene und das obere Werdenberg überflutet waren.

Es ereigneten sich drei grosse Rheineinbrüche: oberhalb Ragaz, zwischen Wartau und Sevelen und zwischen Oberriet und Montlingen, wo die Dämme förmlich weggespült wurden. Bei Ragaz brachten Rhein und Tamina eine solche Masse Geschiebe, dass der Eisenbahndamm durchbrochen wurde. Ein breiter Strom ergoss sich über die Felder dem Bahnhof von Sargans zu, wo die Fluten mit Mühe und Not wieder in das rechte Flussbett geleitet werden konnten. Eine Unmenge Holz, Hütten, Hausteile und Mobiliar nebst Resten von geborstenen Brücken und Pfeilern wälzte der Strom talab. Sogar Friedhofkreuze und Särge und Tiere führte er auf seinen wilden Wogen mit. Mehr als 40 Menschen fanden den Tod in den Fluten. Auf die erste Katastrophe folgte am 4. Oktober eine zweite, die an gewissen Orten noch verderblicher wirkte. Ungezählte Familien waren gezwungen, ihre Heimstätte zu verlassen. Die durchs Rheintal führende Eisenbahnlinie war an 38 Stellen unterbrochen, sodass der Zugsverkehr einen Monat lang lahmgelegt war. Vom Bundesrat war die Zürcher Sappeurkompagnie 2 und eine Anzahl Pontoniere zur Hilfeleistung aufgeboten und zur Verfügung gestellt worden. Da die Ueberschwemmung im Herbst hereinbrach, war ein Grossteil der Ernte vernichtet, und die Wohnhäuser, die wochenlang im Wasser gestanden, blieben den ganzen Winter über feucht und ungesund. Unermesslich war der Schaden an Land und Kulturen, an Gebäuden und Fahrhabe.

Aus einem früheren st. gallischen Schulbuch mögen hier einige Wassernotberichte aus jenen Tagen als Ergänzung gekürzt beigefügt sein.

«Die Bewohner des Dörfchens Burgerau bei Buchs, 442 an der Zahl, mussten fliehen. Die Häuser wurden bis in den zweiten Stock unter Wasser gesetzt. Sechs Menschenleben gingen verloren. Im Zollhäuschen am Rhein wohnte der Zollwächter Keel mit seiner Frau und seinen drei Kindern. Am Morgen des 28. Sept. berieten sie sich, ob sie nicht das Häuschen verlassen sollten. Vater und Mutter trugen die Kinder hinaus auf den Damm. Dann kehrten sie in ihr Haus zurück, um noch etwas Hausrat zu retten. Die unglücklichen Eltern fanden ihr Grab in den Fluten».

«Auch Montlingen hatte seine Schreckenstage. In der Nacht vom 27. auf den 28. September drohte stündlich ein Dammbruch. Die Sturmglocken heulten fürchterlich in die schwarze Nacht hinaus und ihre Klänge vermischten sich mit dem Rauschen der Fluten und dem strömenden Regen. Am 28. September wankte der Damm an vier Orten; er wurde hinweggespült, und die Wasser ergossen sich dem Dorfe zu. In atemloser Hast eilte die Mannschaft vor den Wellen her. Die Sturmglocke hörte auf zu läuten; das Gefürchtete war geschehen. Ein Angstschrei verbreitete sich durchs Dorf. Wer noch konnte floh dem nahen Berglein zu. Wem dies nicht mehr möglich war, der suchte Schutz auf den Bäumen und erwartete dort das rettende Fahrzeug ...»

«Um den Tisch sitzt die Familie. Da erschallt die Sturmglocke. Durch die Strassen ruft's: «Der Rhein ist herein! der Rhein! der Rhein!» Alles eilt der nahen Anhöhe zu. Keuchend führt dort einer auf einem Wägelchen seine Habe mit. Mit aufgelösten Haaren eilt durch den Anger eine Mutter, das Kind im Arm; denn hinter ihr braust schon das rauschende Wasser. Trüb kommen die Wellen daher, zischen vorbei an Baum und Strauch und drücken den hohen Mais zu Boden. In die Keller stürzt die Flut; bald stehen die Häuser tief im Wasser, und von den Bäumen schauen nur noch die Kronen heraus. In der Stube schwimmen Stühle und Tische. Der Kleiderkasten füllt sich ebenfalls mit Wasser ...

Draussen tosen die Wellen durchs Tal hinunter und begraben ohne Erbarmen die Früchte des Fleisses auf Wiese und Feld. Droben auf dem Berglein welch ein Ausblick! Die Ebene ist in einen See verwandelt. Strassen, Gräben, Aecker und Wiesen sind verschwunden, und das trostlose Schweigen wird nun unterbrochen von dem Rauschen des Wassers und Jammergeschrei der armen Rheinanwohner.»

II.

Die Ueberschwemmung im Mittelrheintal Mit der Rheinkatastrophe vom Montag, den 28. September waren wahre Schreckenstage besonders über das Mittelrheintal hereingebrochen. Nach den gewaltigen, sündflutartigen Regengüssen im Bündnerland zeigte der Rheinpegel innert 40 Stunden ein Ansteigen um 8 Fuss und 5 Zoll (1 Fuss 30 cm, 1 Zoll = 3 cm, also 2,55 m) und zwar ohne dass im Mittelrheintal etwas von Regen verspürt worden war. Der Himmel war sogar heiter. Der Rhein durchbrach dann die niedrigen Dämme an verschiedenen Orten, so zwischen Oberriet und Montlingen, wo sie förmlich weggespült wurden. Das dort eindringende Wasser breitete sich auf das weite Eisenriet aus, fiel dann in die Bachtiefe der Aach und des Krummenseebaches, die sich in Widnau wieder vereinigten, um von dort mit konzentrierter Gewalt auf das Dorf Au loszustürmen. Noch bot der in den Fünfzigerjahren erstellte Eisenbahndamm Schutz vor den heranwogenden Wassermassen, hinter dem sich die Fluten stauten. Vergeblich bemühte man sich, den Damm fortwährend zu verstärken. Trotz fieberhafter Arbeit barst der Eisenbahndamm am Morgen des 28. September ob dem einstigen Bahnwärterhäuschen Zinggen-Oberfahr beim sogenannten Güllen. Nun war das Unglück da. Die Sturmglocken heulten durchs Dorf.

Bald rollten knietief die graugelben Wogen über die Strasse daher ins Dorf hinein. In aller Eile galt es noch das Gross- und Kleinvieh zu retten. Das war ein Rennen und Jagen, ein Rufen und Lärmen. Nur mit Mühe gelang die Rettung so vieler Kleintiere. Ein Knabe, es war der alte Bäcker Sieber, trieb die Schweine ins nahe Haslach hinauf. Ueberall hörte man nur Hilferufe, Schreien und Jammern. Während die Mütter ihre Kinder und die notwendigsten Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen versuchten, banden und nagelten die Männer hastig Bretter, Balken, ausgehängte Türen und Tennstore und Güllenkastendeckel zusammen und stellten so ihre notdürftigen Fahrzeuge her. Wer konnte, floh noch zu Fuss in die höher gelegenen Dorfteile, ins Haslach, auf den Büchel oder ins nahe Kobel, um dort bei Bekannten oder Verwandten Unterkunft zu suchen. Gar Manche mussten sich aber vorerst mit einem Heulager begnügen.

Rasch stieg der Wasserspiegel höher. Um neun Uhr konnte man beim Haus neben dem Bildstöckli bei der Kirche schon vom Floss aus zum Stubenfenster hinein steigen. Um zehn Uhr vormittags war das ganze Dorf vollständig überschwemmt. Aus manchen Häusern galt es noch Menschen und Vieh zu retten, denn nicht alle hatten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Besonders alte und kranke Leute konnten oder wollten oft ihre Wohnstätte nicht verlassen. So hielt es auch Herr Zoller Michael im oberen Dorfteil. Statt auszuziehen, nagelte er in der Scheune aus Brettern ein grosses Floss zusammen und stellte seine paar Haustiere darauf. Als das Wasser ins Haus drang, hob sich das Floss mit den Tieren in die Höhe, sodass das Vieh gerade vom Heustock wegfressen konnte, bis das Wasser wieder sank. Nachher erzählte er, dass er dies nie mehr machen würde, denn nach dem Hochwasser musste er nämlich allen Mist, den er vorher ins Wasser geworfen, herausschaufeln und die ganze Scheune putzen und räumen.

Mittelrheintal beim Hochwasser 1868

Das Mittelrheintal bot einen trostlosen Anblick. (Das Bild erschien damals in einer Berliner Illustrierten.)

Im Haus von Herrn Rohner Othmar, Schlosser, sel., gegenüber dem «Engel», wohnte das Babeli, eine alte Jungfer. Von ihr wird erzählt, dass sie ihre Geiss in die Kammer hinaufgenommen und dort an die Bettstatt gebunden habe.

Schiffkundige Männer, besonders die einstigen «Fehren», die ja seit einem Jahr arbeitslos waren, weil seither die Rheinbrücke bestand, bedienten sich ihrer Kähne, und es gelang ihnen, mehrere Personen aus verhängnisvollen Situationen zu befreien. So konnte ein alter gebrechlicher Mann aus seinem Bett, das schon im Wasser stand, gerettet werden, während eine Frau, die sich fürchtete, auf einem Floss zu fliehen, mit dem Schiff geholt werden konnte. Obwohl bei solchen Rettungsarbeiten verschiedene Personen ins Wasser fielen, ist glücklicherweise niemand ertrunken.

Von einer mutigen Widnauerin wird erzählt, sie habe, um sich aus der immer noch steigenden Flut zu retten, die Haustüre aus den Angeln ge-hoben und aufs Wasser geworfen. Hierauf habe die wackere Mutter eine lange Stange ergriffen, das schwankende Fahrzeug betreten und sei vor die Stubenfenster gerudert, habe ihr fünfjähriges Kind auf ihre Achsel genommen und Richtung Heerbrugg zugesteuert. Dort habe man der tapferen Frau die kostbare Bürde abgenommen und Mutter und Kind in Sicherheit gebracht.

«In Widnau waren die Häuser von 250 Familien ringsum im Wasser. Jakob Spirig von Balgach rettete 20 Familien mit wahrer Todesverachtung.»

Trotz des hohen Wasserstandes in Au, der in manchen Häusern bis in die Stube und auf die Ofenbank heraufreichte, blieben höhergestellte Häuser bewohnt. Da aber ein Verkehr von Haus zu Haus nur noch auf dem Wasser möglich war, besassen fast alle Familien ihr eigenes Floss oder Schiff. Aus der Bodenseegegend waren Gondeln zur Verfügung gestellt worden. Besondere Schwierigkeiten bot die Herbeischaffung von Trinkwasser in die noch bewohnten Häuser. Im Hinterdorf, wo das Wasser stellenweise 10 Fuss 2 Zoll hochstand, reichte das Wasser bis ans Dach hinauf. Im Monstein bestand bei einem Gebäude die Gefahr des Einstürzens. «Streue, Turben, Obst, Scheiterstock und Holz aller Art sah man abfahren zum Dorf hinaus.»

Auch bei Heerbrugg stand das Wasser so hoch, dass die Landstrasse aufgerissen wurde und nicht mehr fahrbar war.

Eisenbahnarbeiter, die hier beschäftigt waren, entkamen mit knapper Not den andringenden Fluten. Die Eisenbahnlinie war unterbrochen; die Bahn konnte nur noch bis zum Monstein fahren, wo eine Notstation errichtet worden war.

«Weit hinein gegen Berneck hatte sich eine Seebucht gebildet. Die Landstrasse war überströmt und Reisende waren sogar der Gefahr des Ertrinkens ausgesetzt. Abwärts gegen Au wurde der Rhein zum gewaltig flutenden Strom, der sich dort staute und etwa 12 kleine Dammbrüche von ca. 150-200 Fuss Länge und einen grossen in zwei Strecken von zusammen 400 Fuss Länge verursachte.» So berichtete damals eine ausländische illustrierte Zeitung.

Die Kirche von Au blieb von, den Hochfluten nicht verschont. Sie stand bis zum Türgriff oder Knopf im Wasser. Im Gotteshaus war das Wasser 2 Zoll über den Taufstein gestiegen. Man konnte mit dem Schiff bis zu den Altären fahren. Bänke schwammen herum, auch die Altartücher lagen im schmutzigen Wasser. Das Allerheiligste war aus der Kirche geflüchtet worden. In einer Holz-gelte wurden die hl. Gefässe aufbewahrt. Man trug sie über die Kanzelstiege zum Fenster hinaus auf ein Floss und ruderte dem Haslach zu, wo die Gefässe im Haus von Herrn Josef Weder pro-visorisch versorgt wurden. In der Kirche konnte natürlich kein Gottesdienst mehr gehalten werden. Herr Pfarrer Zäch las die hl. Messe in der Kapelle im Kobel. Oed und leer stand das arme Kirchlein, trostlos sah es aus. Kein Aveläuten war mehr zu vernehmen. Au schien dem Untergang geweiht zu sein. Unsagbares Elend lag über dem Dorf am Michelitag (29. September) 1868.

Zum Glück ist während diesen Unglückstagen niemand gestorben im Dorf, sonst hätte er ein nasses Grab erhalten. Dagegen wurde am 28. September ein währschafter Auerbürger geboren, Drei Tage später machte er seine erste Gondelfahrt zur Taufe, gut verpackt, wie er schalkhaft zu erzählen wusste.

Als die schwer heimgesuchten Bewohner glaubten, die grösste Gefahr und das grösste Elend überstanden zu haben und der Wasserspiegel im Dorf sich langsam zu senken begann, und nachdem man bereits durch Dammöffnungen dem Wasser besseren Abzug gegeben hatte, traf am darauffolgenden Sonntag, den 4. Oktober (Rosenkranzsonntag) abermals eine Verschlimmerung ein. Erneute Regengüsse liessen die Fluten wieder höher steigen, sodass das Bild noch trostloser aussah. An diesem Tag erreichte das Wasser seinen höchsten Stand. Vom heiligen Sonntag merkten die Bewohner nichts. Der Schaden und das Elend waren umso grösser, weil die Breschen noch überall geöffnet waren und alles wieder zerstört wurde, was bisher mit Mühe ausgebessert und neu erstellt worden war.

Sechs Wochen lang floss der Rhein durch die Dörfer. Die ganze Talseite von Oberriet bis zum Monstein glich einem See, der vier Stunden weit sich ausdehnte. 5967 Jucharten waren tief überschwemmt. Während 14 Tagen stand das Wasser auf der Staatsstrasse bis zu 2 m hoch. Heute noch bezeichnet ein Strich am Haus von Herrn Bertram Thurnherr den damaligen Wasserstand in Au.

Haus von Herrn Bertram Thurnherr in Au

Um dem Wasser besseren Abzug zu geben, musste am Monstein unterhalb dem Zollamt der Eisenbahndamm durchbrochen werden und zwar unterhalb der Aechelibrücke, so dass die Schienen mit den Schwellen in der Luft schwebten. Auf der gegenüberliegenden Seite wurde auch der Rheindamm geöffnet, damit das Wasser wieder in den Rhein abziehen konnte. Zum gleichen Zweck geschah dies auch im Neufeld an zwei Stellen.

Die im Jahre vorher erstellte Rheinbrücke Au-Monstein stand während des Hochwassers in steter Gefahr, da der Rhein unheimlich viel Holz mit sich führte. Immer wieder mussten die Brük-kenpfeiler in lebensgefährlicher Arbeit von angestautem Holz befreit werden. Die Angst um die neue Brücke steigerte sich aufs höchste, als eine losgerissene SchiffSmühle auf den wilden Wogen dahertrieb. Mit Bangen erwartete man den Aufprall. Jedermann hielt sie für ein Opfer der reissenden Elemente. Nachdem auf Befehl alle die Brücke verlassen hatten, geschah das Unheimliche. Ein fürcherlicher Krach ertönte. Eine Staubwolke wirbelte auf. Zwei Brückenpfeiler waren geborsten, die Brücke gerettet. Sie hatte ihre Feuerprobe bestanden.

Das Jahr 1868 war im allgemeinen ein fruchtbares Jahr. Zum Glück reiften die Früchte früh, und Mais und Kartoffeln waren schon vor der Ueberschwemmung eingebracht. Trauben und Obst gab es sehr viel. Der Wimmet fiel gerade in die Zeit der Unglückstage. Trotzdem ging eine Unmenge Obst zugrunde und auch eingeerntete Feldfrüchte und Viehfutter verdarben massenhaft. Felder und Wiesen waren mit einer 5-20 cm tiefen Schlammschicht überschüttet. Noch in der dritten Oktoberwoche bedeckten teilweise meterhohe Sandschichten die Böden in den Häusern. «Während den Schreckenstagen konnten im Oberdorf die meisten Leute nicht kochen, nicht heizen, und es war über alles noch kalt zu dieser Herbstzeit und wegen des ungeheuren Wassers.»

Allmählich zog sich der unheimliche Gast wieder in sein altes Bett zurück, überall Letten, Schutt und Geschiebe, eine traurige Verwirrung hinterlassend. Auch die armen Bewohner konnten schliesslich wieder in ihre durchnässten Behausungen und Ställe zurückkehren. Was sie da alles vorfanden! Welch eine Unordnung! War das ein ekliges Anpacken und Aufräumen! Jämmerliches Elend starrte aus allen Ecken. Die einen fanden im Lehmofen zwischen Schlamm und Letten eine schmutzige Riesenkröte, die sich im trüben Rheinwasser sehr wohl gefühlt hatte. Nattern hatten sich in Ofenlöcher und Kochherde hineingeflüchtet. In einer andern Stube lagen zwei losgerissene Stubenbretter in Sand und Schutt. Die vollen und schweren Mostfässer im Keller hatten diese heraufgedrückt, weil sie nicht gestützt worden waren. Auf gar manchem Küchenboden steckten in Sand und Schlamm zerschlagene Tassen, Krüge und Scherben. Dort hatten die Fluten einen schweren Kasten umgeworfen. Hier war ein Ofen eingestürzt und Tisch und Stühle lagen wirr durcheinander. Ueberall nur Not und Elend!

Gross waren die Schäden an Wuhren und Dämmen, die in jahrelanger Fronarbeit von den Wuhrgemeinden erstellt und unterhalten worden waren; gross der Schaden in Feld und Wiese, an Gebäuden, an Hab und Gut. Wenn hier auch keine Menschenleben zu beklagen waren, so gehörte Au doch zu den Hartbetroffenen. Um das Mitleid aller zu wecken, schrieb eine ausländische Zeitung:

O tröste Herr, die Deine Hand
noch jüngst so schwer getroffen,
die Brüder in dem Schweizerland.
Mach alle Herzen offen,
lass Dein Gebet in dieser Not
sie kräftiglich erfüllen,
dass sie in Freud das bittre Leid
der armen Brüder stillen.

Quelle: Kapiel 1 und 2 von 'Rheinhochwasser von 1868' von Josef Kuster, Au in 'Unser Rheintal 1868', p. 219 ff. Das Kapitel 3 Hilfe und Schlussgedanken wurde weggelassen.

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Erstellt durch Daniel Stieger (letzte Nachführung am 20. Januar 2019)